Whipwichteln: Hug kriegt V von Chicago

Schenken: Wir wichteln. Jede/r whipitler/in zog einen Namen und musste dieser Person eine LP oder eine CD senden (das konnte man im Voraus deklarieren). Der/die Beschenkte muss die Platte besprechen und tippen, von wem das gute Stück versendet wurde.

Auspacken: Man kann ja Wichtelplatten auch verschicken, um einen Freund zu ärgern. Dachte ich mir jedenfalls, als ich das 5-Alben-Aktionspaket von Chicago auspackte. Mit dem Vermerk «Such dir 1 Album aus» – danke immerhin für so viel Gnade.

Aber hey, hier ist eine Vorbemerkung nötig: In meiner Sturm-und-Drang-Zeit beziehungsweise meinen Chaos-and-Disorder-Jahren Anfang der Achtziger war Punk eben der einzige Massstab, und alles, was mit Chicago zu tun hatte, stellte ich in meiner jugendlichen Eile in dasselbe musikalische Lager wie… Manhatten Transfer: schnalzige Schnulzen, schmachtende Hörner, Männer im Falsett, und egal, wie technisch versiert das gewesen sein mochte: Es hatte nichts mit dem zu tun, was mich interessierte. Jack DeJohnettes Special Edition und Chick Coreas Elektric City waren da als Alternative sehr viel interessanter, wenn ihr versteht, was ich meine. Innerhalb des Genres wäre King Crimson eine akzeptable Alternative gewesen, aber dann waren mir Pere Ubu und Material eben doch lieber. Und überhaupt, wer nennt sich denn schon nach einer Stadt?! Das ist keine gute Idee, wenn einem zu dieser Frage Boston, Alabama, Kansas einfallen. Oder gar America! Und Asia!! Und eben Manhatten Transfer.

Sachlich gesehen hatten Chicago damals ihre beste Zeit schon hinter sich und klangen eben genau wie Boston (More Than A Feeling, ha ha) oder Saga (wobei von denen immerhin das Debüt ganz akzeptabel war).

Und nun also das Chicago-5-Alben-Aktionspaket. Ich entschied mich gutschweizerisch kompromissbereit für die CD in der Mitte beziehungsweise das Album V – und war erstaunt: Dieses abgefahrene Gitarrensolo in Dialogue (Part Two)! Dieses coole Trompetensolo in State Of The Union! Überhaupt diese immer wieder eingestreuten Jazzrock-Eskapaden, die bestens an Billy Cobham, Tony Williams und Jukka Tolonen erinnern (wir lassen Bitches Brew jetzt unangetastet). Ein Kontrollblick auf das Veröffentlichungsjahr von V: 1972. Stimmt: V war Musik zu seiner Zeit – sehr jazzrockig und als herausragendes Merkmal für diese Grosstruppe auch grösstmöglich basisdemokratisch. Sprich: spannend. Auch wenn die seichten Bläserpassagen und das Männerfalsett schon damals einen wichtigen Teil des Raumes vereinnahmten.

Am Ende hat mich der Wichtel also etwas gelehrt, was ich auf Wikipedia bestätigt fand: Chicago versteht sich selber als Rockband. Danke für diese Einordnungs-Korrektur. Nun werde ich mir in Ruhe die anderen Alben anhören. Ihr 37. Album ist übrigens 2022 erschienen.

Vermutung: Könnte mir Roli geschickt haben. Weil der gerne erwähnt, was für schräges Zeugs er hört.

Auflösung: Dieses Album hat Roli geschickt.

Christian Hug aka Huig
christian@whipit.ch

«I’m runnin' with a burnin' spirit that I can’t control», sagt Si, und er hat ja sowas von recht. Der Bruce weiss die einzig richtige Lösung: «I’m running free.» Und am Ende bleibt, was John Lee schon immer wusste: «It’s all the Blues.» The Numbers of the beast: 1965, 189,6370, 3. christian-hug.ch

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