Tigercub, Green Lung, Clutch: Der Prediger, der Golem und ihre Freunde

Vorvorspiel

Aso bevor wir anfangen: Irgendwer den Endlich-Clooney-mit-Roberts-Film gesehen? Ich ja. Geht so. Spoiler: In Ticket to Paradise spielt George Clooney, als wäre er George Clooney, und Julia Roberts spielt, als wäre sie Julia Roberts. Aber hey: Schöne Insel!Das nur so am Rande. Ähnlich wie Südkorea – Ghana in Katar.


Vorspiel 1

Nun aber zum Spiel: Clutch auf ihrer regelmässigen Spätherbsttournee mit Halt in der Schweiz, diesmal mit Tigercub und Green Lung als befreundete Vorspieler, bemerkenswerterweise beide englischer Natur, und das ganze Paket im Zürcher Palais X-tra statt im Pratteler Z7 am 5. Dezember.

Der Spielbeginn wie angekündigt um 19.30 wird im protestantischen Zürich penibel eingehalten. Der Start so früh hat für Landbewohner wie uns Vorteile: Wir kommen nachher beizeiten mit ÖV nach Hause und vorher noch zum Stöbern im herrlichen Occasions-Plattenladen Blutt Records am Limmatplatz. Um 19.30 und 30 Sekunden also Tigercub: Sänger/Gitarrero Jamie Hall sieht immer noch aus wie ein englischer Student (gross, schlacksig, tapsig, Hochfrisur und Flacharsch) – versuchen er und seine beiden Freunde da irgendwie, Muse nachzumachen? Sie klingen zwar ordentlich nach Rock mit ein bisschen Stoner und eben Muse zum scheuen Vorbild, aber für eine Band, die schon drei EPS und zwei Alben raus hat, klingen sie auch erstaunlich wie eine Band, die ihren Stil immer noch nicht ganz gefunden hat.

Nun denn: 30 Minuten Auftritt, 1 cooles Tigercub-T-Shirt gekauft, immerhin.

Tigercub

 

Vorspiel 2

Und dann Green Lung, die bis auf den Sänger vor dem Konzert geschlossen am Stand ihre Merch verkauft haben. Wir mögen Green Lung, sehr sogar: Ihr Rock ist permanent hart an der Grenze zur Überbeladung mit viel Saitenschrammel und Tastenbrummel plus Vollgesang, aber eben auch immer mit tragenden Melodien mit überraschenden Wendungen. Und ach ja, die sind ja irgendwie Satanisten. Auf alle Fälle finden sie das ganze Dunkelzeugs unterhaltsam bis spannend mit Slogans wie «Burn Churches Not Witches» und Kirchenfenster-Optik mit Ziegenbockpriester wie auf dem Cover des aktuellen Albums Black Harvest. Aber der Ziegenbock bringts eben grad auf den Punkt: Bei Green Lung ist Satan ein netter sprechender Geissbock. Was dann aber brave Katholiken erst recht sofort zur bangen Frage führt: Ist nicht gerade das Nette auch das Gefährliche? Darauf haben wir zumindest am T-Shirt-Stand keine Antwort gefunden.

Green Lung

 

Hauptspiel: Hauptfigur

Licht aus, Spot an, Neil Fallon und seine drei Fragezeichen, äh, Freunde auf die Bühne. Neil macht lustige «Hallo»- und «Ja ja, klatscht noch ein bisschen»-Gesten, er weiss, dass er von seinem Publikum verehrt wird, und er geniesst es inzwischen offensichtlich, aber das ist okay, weil wir verehren ihn ja tatsächlich, und der Papst winkt ja seinen Gläubigen auch gnädig zu, bloss trägt der dann weisse Handschuhe.

Ein kurzes Intro – und tätsch geht die Post ab, das Clutch-Zeremonial kann beginnen. Clutch haben richtig dicke Eier. Allen voran Neil, der hat die dicksten dicken Eier, und wenn er spricht, dann sprüht das Testosteron, auch wenn das, was er spricht, nicht immer wirklich Sinn macht. Aber darum geht’s nicht: Ein Clutch-Konzert ist wie eine Art Predigt: Neil versetzt uns mit fortschreitender Konzertdauer in eine Art ehrfürchtige Trance, und immerhin sagt er unglaublich geile Schlüsselsätze wie zum Beispiel diesen: «I don’t need the Secret Service. I know how to walk a room.» Neil hat genug dicke Eier, um mit seiner blossen Präsenz einen Raum für sich einzunehmen. Das macht er auch mit dem X-tra.

Er sagte auch Sätze wie diesen: «We‘re doing like jazz music cause we‘re sophisticated adults.» Da verstehen wir den tieferen Sinn nicht ganz, aber ja, Clutch, macht Jazzmusik, macht, was immer ihr wollt, es ist geil! Betöre uns, Neil! Oder wie Fallon selber sang: «Whatever, it feels rightSowas kann nur ein echter Earth Rocker.

Hauptspiel Nebenfiguren

Bemerkenswert auch, wie die anderen drei Clutcher funktionieren: Jean-Paul Gaster an den Drums sieht aus wie ein würdig in die Jahre gekommener Biker, Dan Maines am Bass treibt unauffällig, aber entschieden die Musk vorwärts, und Gitarrist Tim Sult ist… ja, Tim ist inzwischen definitiv zum Golem mutiert: Im Halbschatten gibt er eine unförmige Kontur ab, er bewegt sich so gut wie nie, blickt nie ins Publikum, er blickt nicht mal zur Band, er ist 100 Prozent eins mit seiner Gitarre, und auf der zieht er, um ein Orgel-Adäquat zu benutzen, sämtliche Register.

Der Golem lebt, aber alles Leben ist in seinem Gitarrenspiel. Ich vermute, die Band nimmt Tim nach den Gigs jeweils nicht in den Tourbus, sondern stellt ihn in den Equipment-Van, nimmt ihn am nächsten Spielort wieder raus, stellt ihn wie einen Verstärker auf die Bühne, und sobald die anderen drei Clutcher zu spielen anfangen, kommt Leben in den Tim. Herrlich. Herrlich! Herrlich!!

Nachspiel

Oder wie die andere Hug äligs zu sagen pflegt: Clutch erfinden die Welt nicht neu. Aber sie sind einfach der Killer! Immer wieder, auch im X-tra.

Und ja, bevor wir aufhören und gäbig mit dem ÖV zurück in die Berge fahren: Das,was im X-tra als Bier verkauft wird, ist eine Beleidigung. Und der Preis dafür noch mehr.

 

Christian Hug aka Huig
christian@whipit.ch

«I’m runnin' with a burnin' spirit that I can’t control», sagt Si, und er hat ja sowas von recht. Der Bruce weiss die einzig richtige Lösung: «I’m running free.» Und am Ende bleibt, was John Lee schon immer wusste: «It’s all the Blues.» The Numbers of the beast: 1965, 189,6370, 3. christian-hug.ch

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