WolfWolf: KI ist Rock’n’Roll

WolfWolf alias Mister Wolf und Mister Wolf alias Düla und Punk alias Reto Eller und Marcel Frank haben also einen Videoclip ausschliesslich mit KI generiert, als allererste Band der Schweiz, wie die beiden sagen. Ist das nun eine Meldung wert? «Aber natürlich », sagt Reto, «wir sind halt die ersten, die das tun, und KI ist ja die Zukunft.» Allerdings in weiten Teilen eine wenig verheissungsvolle, wenn man an Deep Fakes und die Erübrigung von Künstlerinnen und Künstlern jeder Art denkt, aber das ist ein anderes Thema.

WolfWolf sitzen also am Küchentisch und erzählen, wie es zum Video zu Holy Water kam, ein für ihre Verhältnisse ruhiger und sehr angenehm reduzierter Song von 2 Minuten 27 Dauer, er ist nach The Falcon die zweite Single des neuen, vierten Albums, das aber erst im Frühling erscheinen wird. Und kaum haben sie angefangen zu reden, kommen die beiden erst ins Plaudern und dann schnell ins Diskutieren, so als würden Reto und Marcel zum ersten Mal über KI diskutieren.

«Es ist ja so, dass wir letzten Frühling beschlossen haben, keine Videos mehr zu drehen» eröffnet Reto. «Weil die Leute heute vor allem streamen, und da spielt das Visuelle keine Rolle mehr. Warum sollten wir uns also noch die Mühe machen? Zumal wir bis jetzt unsere Videos immer sehr minimalistisch gemacht haben, wir haben uns mit unseren Handys gegenseitig gefilmt, und irgendwann ist das dann auch nicht mehr so lustig.» Marcel hält dagegen: «Wobei Rock’n’Roll schon immer auch zu 50 Prozent aus Optik bestand und immer noch besteht.»

Keine Videos mehr? Das fand auch Jürgen Schattner, der Chef ihres Labels Rookie Records in Hamburg, sehr suboptimal. Also dachten Reto und Marcel darüber nach, wie sie ein Video drehen könnten, in dem sie sich nicht gegenseitig mit den Handys filmen. Und sie beschlossen, dass sich Reto mal mit KI auseinandersetzt.

Der Rest ist, wie man so schön sagt, Geschichte. Reto arbeitete mit Runway, ein KI-Programm, das 4 Sekunden Video pro Prozess generiert, die man um maximal weitere 4 Sekunden verlängern kann, und macht pro Eingabe 4 Vorschläge. «Meistens waren die Vorschläge aber haarsträubend falsch» sagt Reto, «da kamen Menschen mit fünf Armen und Tiere mit sieben Beinen, farbige Himmel, was auch immer. Aber manchmal waren die Fehler so lustig, dass ich beschloss, die Sequenz ins Video einzubauen.»

Das ist das Stichwort für Marcel: «So gesehen ist KI wie Rock’n’Roll, der entsteht auch aus Jam-Sessions, aus heiterem Ausprobieren und aus Fehlern, aus denen man lernt.» Ein interessanter Gedanke.

Entsprechend sind denn auch im Video zu Holy Water viele Bildfehler drin: Menschen mit superdicken oder mit sechs Fingern, irgendwo erscheint ein halber Wolfskopf am oberen Bildrand, Gitarre-spielende Hände funktionieren ebensowenig wie Texte auf Plakaten, und wenn man das Video auf Computer-Bildschirmgrösse aufzieht, fangen die Gesichter an zu verschwimmen – letzteres ist besonders gruselig. Das alles bemerkt man aber erst auf den zweiten und dritten Blick, und trotzdem verbreiten die Fehler schon beim ersten Anschauen eine beengend-düstere Gothic-Atmosphäre, ohne dass man sagen könnte, woran das liegt. «Und das passt ja wieder wunderbar zu WolfWolf», sagt Marcel und meint damit die WolfWolf-typische Mischung aus Cramps-Grusel, Screaming-Jay-Hawkings-Schaudern, Unfertigkeit und Spontanität.

Ein springender Punkt an diesem Video ist nun folgender. Marcel lehnt sich halb über den Küchentisch und erklärt: «Schon morgen hat das KI-Programm hinzugelernt und wird bei den gleichen Parametern völlig andere Bilder generieren – und in ein paar Jahren werden die Bilder dann auch perfekt sein. Aber perfekt, das ist im Rock’n’Roll gleichbedeutend mit langweilig.» Reto übernimmt: «So gesehen ist das Video zu Holy Water ein Zeitdokument. Eine Momentaufnahme, die auf ewig einen Wert behalten wird.» Stimmt. So gesehen hat es sich gelohnt, über den ersten KI-generierten Musikclip der Schweiz zu diskutieren.

Seht selbst:

Cover zu Holy Water: «Wir haben von einem Jäger eine Nachtsicht-Fotofalle ausgeliehen und sind um einen Baum gerannt.» (Marcel)
Cover zu Holy Water: «Wir haben von einem Jäger eine Nachtsicht-Fotofalle ausgeliehen und sind um einen Baum gerannt.» (Marcel)
Cover zu The Falcon: «Bis jetzt haben wir uns immer gegenseitig gefilmt.» (Reto)
Pressebild: «Man braucht ja auch mal neue Ideen.» (Marcel)
Christian Hug aka Huig
christian@whipit.ch

«I’m runnin' with a burnin' spirit that I can’t control», sagt Si, und er hat ja sowas von recht. Der Bruce weiss die einzig richtige Lösung: «I’m running free.» Und am Ende bleibt, was John Lee schon immer wusste: «It’s all the Blues.» The Numbers of the beast: 1965, 189,6370, 3. christian-hug.ch

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