Heilung: Atavismus als Kunst

Heilung spielten am 16. August im Z7, da sind wir sehr dafür, weil diese deutsch/dänisch/norwegische Band (Wikipedia) so selten auftritt, dass man dann auch gehen muss, wenn die schon extra kommen. Wir also hin, zack, die Hug und der Hug und Ren und sehr gespannt, was da auf uns zukommen wird, weil noch niemand Heilung live gesehen hat. Erste Freude: Das Freilicht-Gastspiel ist beinahe ausverkauft. Erstes Erstaunen: Die Leute stehen Schlange am Merch-Stand. Heilung-T-Shirt für 35 Stutz, autsch, aber es geht zu und her wie bei Rammstein. Oder früher bei Motörhead. Sängerin und Zeremonienmeisterin Maria Franz making money with merch…

Gefühlte 99,99 Prozent (also alle ausser ich) sind tätowiert, einige mittelaltergewandet, andere gesichtbemalt, kann man manchen, wenn man will. Zweite Erstaunung: Im Publikum hat es keine Esoteriker. Also Menschen mit bunten Kleidern und wollsockenbewehrten Füssen in ausgelatschten Sandalen. Werden Heilung nie für Esoterik-Festivals gebucht? Haben Heilung nur Metalheads als Fans? Keine Ahnung. Eigentlich müsste die Band ja auch an ein Augusta-Raurica-Festival oder an ein Stonehenge-Festival gebucht werden. Aber ja. Kann es sein, dass eine Band, deren Labelkollegen Enthroned und Mayhem sind, von Esoterikern ignoriert werden muss?

Der Vorhang geht auf (es hat tatsächlich einen Vorhang wie im Theater, mit dem Krieger-Männchen drauf), die Bühne nett hergerichtet mit grossen Ästen und kleinen Bäumen, grünes Flutlicht, wir sind dann also im Wald, Trommeln in jeder Grösse. Punkt 21 Uhr: Auftritt Sänger und Zeremonienmeister Uwe Faust in Könnte-Schamanenkleid-sein-Kleidung, Rentier-Geweih am Kopf, er wedelt Weihrauch aus, sogar korrekt in die vier Himmelsrichtungen wie sich das bei der Anrufung der Geister gehört, obwohl die Präzision auch Zufall sein könnte, denn die Bühne ist zufälligerweise tatsächlich exakt nach Norden ausgerichtet. Dann Auftritt der Mitspielenden, nackige blau gefärbte Oberkörper, auch die Frauen, das Weihrauchritual geht weiter, Uwe spricht ein Naturgebet oder sowas, hinter mir spricht einer aus dem Publikum begeistert mit. Uuups. Die Mitwirkenden auf der Bühne im Ringelreihen-Kreis. Maria Franz im bodenlangen weissen Gewand mit Zotteln an den Ärmeln, Halbmaske, Rentiergeweih. Weil wir sind ja nordisch. Sieht cool aus, und sie weiss das.

Das Spiel geht los. Trommeln, Trommeln und nochmal Trommeln. Uwe im Kehlkopfgesang, Maria mit erstaunlichem stimmlichem Umfang erstmal rein onomatopoetisch, bevor sie dann altenglische, altgermanische, altisländische und/oder Wikingertexte singt, die sind halt so schwer voneinander zu unterscheiden.

Erstaunlich die schöne, aufwändige Inszenierung mit bis zu 16 Leuten auf der Bühne. Und natürlich beginnt’s jetzt im Kopf zu rattern: Ist das nun Ritualmusik zum Zuschauen oder zum In-die-Trance-Kommen? Oder kommen nur die Leute auf der Bühne in Trance und ich muss mich bloss in mich kehren? Wo führt das hin – und was mach ich dann dort?

Die Trommeln sind in der Tat treibend, rituell, urtümlich und brachial. Im Rhythmus des Herzens, aber laut und fast unhörbar mit elektronischem Bass verstärkt. Genau dasselbe machen sie genau jetzt auch in Zürich an der Streetparade, Beats im Herzschlagrhythmus, aber warum kommt mir das überhaupt in den Sinn? Wer auf Musik steht wie das Intro von Asja und das ganze Busalas Bann des aktuellen Albums Drif, der oder die wird hier voll bedient. Der Trommler rechts ist jedenfalls schon rein körperlich schwer beschäftigt und definitiv sehr schnell in seinem eigenen Film. Uwe brummelt tief. Maria singt schön mit ausladender, optisch überaus fotogener Gestik. Dann kommen Wikinger auf die Bühne, also die blauen Menschen von vorhin, bewaffnet mit Schild und Speer, man organisiert eine sehr genau einstudierte Choreografie, wir sind also definitiv weit weg von Trance, und irgendwann wirkt dann alles wie eine Inszenierung von Wagners Nibelungen, einfach im Z7 statt im Opernhaus. Das geht ja gar nicht, irgendwie. Und wo bleibt meine Trance? Immerhin: Überzeugende Optik, bewegende Musik. Eine der Trommel-Ecken ist justament vor der Windmaschine postiert, und der Typ mit Gandalf-Bart hat nun plötzlich Wind im Haar, er sieht aus wie Shakira, Waka Waka juhee. Aber es ist herrlich: Der «Trick» an Heilung-Musik ist ein einfacher, aber äusserst wirkungsvoller: Alles ist elektronisch mit tiefen Bässen untermalt, was die eh schon treibenden Trommeln zusätzlich aufpumpt und dramatisiert. Vielleicht ist es das, was Metal-Fans so anzieht. Ich geh mir mal das Missekatten-T-Shirt kaufen, jetzt steht niemand an. Sonderbar, dass kein süsser Rauch in der Luft liegt.

Zurück am Set, wird auf der Bühne grad fingiert ein Menschenopfer dargebracht: Also Opfergabe am Speer fesseln (von Uwe) und demselben die Kehle durchschneiden (von Uwe) das Opfer geht zu Boden – Auftritt der rettende grosse Geist oder die grosse Göttin (Maria), die das tote Opfer (ich sag’s jetzt mal einfach: eine Frau beziehungsweise eine Skjoldmø und noch dazu die attraktivste von allen) wieder zum Leben erweckt, was mich grad wieder ins Grübeln bringt: Ist Maria jetzt neben Uwe einfach die erste Sängerin oder ist sie die Zeremonienmeisterin des Abends oder ist sie die grosse Göttin dieses heiteren Theaterspiels? Oder je nach Belieben und Song alles? Parsifal und Kundry? Herrje, wahrscheinlich sollte man sich das alles gar nicht fragen, es macht einen ganz kirre. Als in der Episode neun von Vikings der tapfere schöne Leif sich selber als Menschenopfer hingab, hab ich mich auch nicht hintersinnt. Aber dort hatte jede Figuren eine klare Funktion.

Immerhin: Nach der Auferstehung der Fähigen auf der Z7-Bühne wird die Musik tatsächlich zwei Zacken heftiger und chaotischer, das sind dann wohl die finalen Trance-Songs, die dann immer noch 30 kurzweilige Minuten dauern. Und dann: Musik fertig, Kreis machen, Weihrauch ausbringen, Abgang, dankeschön – und da zieht tatsächlich einer den Vorhang wieder zu.

Und jetzt? Keine Ahnung. Aber war ein grossartiges Konzert, ich werde nächstes Mal wieder hingehen. Und wenn jemand weiss, wo zum Kuckuck man CDs von Songleikr, Euzen und Hednigarna kaufen kann: Bitte sagt’s mir.

Und falls jemand wirklich echte Musik für schamanische Reisen hören will: Ursa von Kailash Kokopelli.

Und heilende Musik: Dewa Che von Dechen Shak-Dagsay.

Vorhang auf, die Show beginnt.

Trommelektase für Nordic-Ritual-Fans.

Trommelektase für Nordic-Ritual-Fans.

Uwe und Maria wissen um die Macht der bildgewaltigen Inszenierung…

…wobei der richtige Einsatz von Licht genauso wirksam ist (siehe begeisterter Fan im Vordergrund).

Der Vorhang fällt, das war’s, dankeschön, kommt gut nach Hause.

 

 

Christian Hug aka Huig
christian@whipit.ch

«I’m runnin' with a burnin' spirit that I can’t control», sagt Si, und er hat ja sowas von recht. Der Bruce weiss die einzig richtige Lösung: «I’m running free.» Und am Ende bleibt, was John Lee schon immer wusste: «It’s all the Blues.» The Numbers of the beast: 1965, 189,6370, 3. christian-hug.ch

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