Marius Bear: Fucking glücklich

Happy happy, die Ferry Jam sticht wieder in See! Für alle, die nicht wissen, was eine Autofähre ist: Die «Tellsprung», so heisst eben das Schiff, verkehrt normalerweise zwischen Beckenried und Gersau, das ist chli ähnlich wie die Autofähre Horgen–Meilen–Horgen–Meilen–Horgen–Meilenetc. auf dem Zürisee. Aber auf dem Vierwaldstättersee cruist die Autofähre seit 2017 dreimal im August autofrei in die Nacht hinein, während eine Band vor dem auf 300 Nasen limitierten Publikum im frischen Fahrtwind heitere Konzerte zum Besten gibt – neu unter dem Namen Ferry Jam. Eventorganisator Manuel Streule, Fettes-Haus-Chef Martin Koch und Fähre-Kapitän Mick Baumgartner haben dazu den Verein Ferry Jam gegründet. Danke dafür, meine Freunde!

Nun denn: Am 10. August eröffnete Marius Hügli alias Marius Bear der Bär die diesjährige Ferry-Saison. Er habe, sagt er zum Anfang, heute Nachmittag in den See hinausgeschaut und gedacht: Ihr müsst fucking glücklich sein, in so einer Landschaft zu leben. Ja, sind wir. Fucking fuck glücklich sogar, wenn ich mir mal so viel Vulgarität erlauben darf.

Marius entledigt sich der Sneakers und Socken, man muss sich ja erden, bevor man die Antennen ausfährt, akustische Gitarre dazu, die ersten gefühlvollen Töne. Hinter ihm der Keyboarder und Schlagzeuger Marvin Trummer sowie der Gitarrist und Bassist François Le Cunff. Tatsächlich sind Bears Lieder sehr dicht, sehr gefühlvoll, sehr bewegt – und das aber in einer beruhigenden Selbstverständlichkeit. Es ist wohl genau diese Gelassenheit, die einen guten Singer/Songwriter von einem, wie soll ich sagen: oberflächlich erregt-bewegt gestikulierenden Bla-Bla-Singsangsänger/Liederschreiber unterscheidet.

Das kann ich erklären – justament am Beispiel Marius Bear. Als 2018 nämlich Marius Bears Debütalbum Sanity erschien und den damals 25-jährigen Musiker grad zum neuen Superliebling der Nation machte, war Marius mit dem schnellen Ruhm nahe an der Überforderung. Das liess sich daran ablesen, wie er seine Ergriffenheit mit eckigem Verlegenheits-Gezappel zum Ausdruck brachte, immerhin hat auch Joe Cocker bei seinen ersten Konzerten aus demselben Grund gezappelt. Dann kamen die Alben Not Loud Enough und Boys Do Cry, eine Phase als Strassenmusiker und die Teilnahme am Eurovision Song Contest, das wohl wichtig war: Wer weiss, dass einem jetzt gerade Millionen von Menschen live beim Singen zuschauen, bei dem passiert was im Kopf, weil er damit klarkommen muss. Marius lernte. Und er lernte gut: Auf der Ferry steht er sehr gelassen auf der Bühne, macht gerne mal ein Witzli, hältzuweilen sogar eine Hand im Hosensack und bringt die Kraft seiner Lieder einzig mit seiner Stimme zum Ausdruck. Sogar sein Gesicht bleibt entspannt. Das ist ergreifend schön.

Diese Stimmung bricht im Publikum förmlich in Begeisterung aus, als François Le Cunff (weil das niemand aussprechen kann, nennt er sich Franky, sagt François nach dem Konzert) sein erstes und einziges Solo spielt, ein langes und langsames und ausgedehnt herrliches. Und dann kommt wie aus dem Nichts eine spektakulär grossartige Coverversion von Lonely Boy von den Black Keys. Wer sowas kann, wer den Blues so tief versteht und wer einem bereits bestehenden Lied so viel hinzuzufügen hat, der ist ein hervorragender Musiker (das zählt für alle drei). Marius sagt nach dem Konzert auf die Frage, woher das komme: «Das habe ich als Strassenmusiker sehr oft gespielt.» Ja: Die Strasse.

Der Song «Momol», den er zu Ehren seiner Grossmutter Käthi geschrieben hat, nimmt sich dann dagegen aus wie ein heiterer Partysong. Sogar Marius selber bezeichnet ihn so, als er ihn als (leider einzige) Zugabe nochmal spielt.

Dann ist der Zauber vorbei, die Band verlässt in Gersau die Fähre, zusammen mit all jenen aus dem Publikum, die ebenfalls in Gersau zugestiegen sind. Auf dem Weg zurück nach Beckenried hallt die schöne Stimmung angenehm nach. Inzwischen ist stockdunkle Nacht eingekehrt, der Wind ist frisch geworden und alle sind, wie Marius gesagt hat, «fucking glücklich».

Und ja, hou: Wer keine Karten für die ausverkaufte Ferry Jam vom kommenden Donnerstag hat, der verpasst nicht nur The Led Farmers auf dem See, sondern auch Die Hug hinter der Bar.

Mal was anderes auch für die Musiker: Backstagebereich auf der Autofähre.

Sogar Marius ist von der Schönheit des Vierwaldstättersees begeistert und macht chli Fötteli.

Das Trio ist wunderbar eigespielt und kompakt. Beachtenswert dabei…

…die riesigen Füsse von Marius (Alfred-E.-Neumann-Stellung)…

…und die Art, wie sich Drummer Marvin Trummer die Sonnenbrille hochschiebt.

Saitenmann François Le Cunff kann mit ganz vielen Knöpfen spielen.

Gitarrensolo, Blues, Party, Singer/Songwriter, Mundart: Das Spektrum ist breit, die Stile souverän gespielt.

Christian Hug aka Huig
christian@whipit.ch

«I’m runnin' with a burnin' spirit that I can’t control», sagt Si, und er hat ja sowas von recht. Der Bruce weiss die einzig richtige Lösung: «I’m running free.» Und am Ende bleibt, was John Lee schon immer wusste: «It’s all the Blues.» The Numbers of the beast: 1965, 189,6370, 3. christian-hug.ch

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