Ensoulment: Beseelt von The The

Vor kurzem erfahren, dass The The ein neues Album gemacht hat, das erste seit 24 Jahren. Und ich grad den Check: Ja, The The beziehungsweise Matt Johnson hat sich irgendwie im Sand verlaufen oder aufgehört Musik zu machen oder irgend etwas anderes Schreckliches, auf alle Fälle: Long time no hear, man weiss nicht genau warum. Und ich dann am nächsten Tag zack in den Old Town Record Store nach Luzern und Ensoulment gekauft, nach Hause gerast, CD eingelegt und: Da war es wieder, dieses The-The-Gefühl.

Dazu muss ich vielleicht ein bisschen ausholen: Soul Mining, das zweite Album von The The, erschien 1983 just zur gleichen Zeit, als mir meine erste grosse Liebe ebendiese gekündigt hatte und ich über Monate am Boden verschlarggt war vor Trauer und Kummer und Herzschmerz, damals habe ich gefühlt 1000 Mal Soul Mining gehört, insbesondere den Song This Is The Day, in dem Johnson so scheinbar hoffnungsfroh singt: «This is the day your life will sureleychange». Ja, genau das passierte damals gerade mit mir, wenn auch aus meiner Sicht bis zur Verzweiflung unfreiwillig. 

Dieses Album war mir damals Trost, aber das ist nicht der Grund, warum es heute eines meiner 10 Inselalben ist. Soul Mining vereint genaues Beobachten und Hinterfragen der Welt mit Hoffnung und Freude, es ist Pop in der Musik und Soul im Herzen, es war im Postpunk irgendwie auch eine Brücke aus dem Punk heraus in neue Welten, kurz: Soul Mining ist alles.

Danach kamen Infected und Mindbomb und Dusk, alles schön und gut. Mit der Hank-Williams-Hommage Hanky Panky hat es sich The The dann irgendwie verspielt, und Naked Self im Jahr 2000 war dann entsprechend nur noch von untergeordnetem Interesse. 

Und jetzt also Ensoulment. Und da ist es wieder, dieses The-The-Gefühl. 

Und das geht so: Es ist ein wunderschöner Morgen, die Sonne scheint, du hast herrlich geschlafen, hast den ersten Kaffee vor dir, sitzt am Tisch und schaust zum Fenster raus, und du denkst dir: Was für ein wunderschöner Morgen. Aber irgendwie beschleicht dich dieses ungemütliche Gefühl, dass irgend etwas an dieser Idylle nicht stimmt, du spürst es, aber du kannst ist nicht genau definieren. So klingen die 12 neuen Lieder von Ensoulment, und sie docken mühelos an diese tiefschürfende Leichtigkeit von Soul Mining an, was für eine Freude! Alles klingt wie einst ein Song auf Soul Mining, nämlich wie ein Uncertain Smile.

Einzig der Gesang ist mehr ein Sprechgesang als ein Singgesang, was wohl mit seinen gesundheitlichen Problemen mit seinem Hals zu tun hat (darüber wissen wir nichts Genaues). Und weil wir uns in den letzten 24 Jahren unter anderem an Züri West beziehungsweise Kuno Lauener gewöhnt haben, erinnert Matt Johnson manchmal an Kuno Lauener, aber das ist schwer in Ordnung, weil wir auch Kuno lieben und die letzten Songs von Züri West genauso. Einmal oder zweimal kommt einem bei Johnsons Sprecherei Laurie Anderson in den Sinn und einmal sogar der Leonard Cohen, obwohl dessen Kunst ja eigentlich immer mehr Hörbücher als Musikalben war.

Aber immer ist Ensoulment genau das, eine Art Beseelung von sich selber und allem drumherum, hach, wie schön.

Christian Hug aka Huig
christian@whipit.ch

«I’m runnin' with a burnin' spirit that I can’t control», sagt Si, und er hat ja sowas von recht. Der Bruce weiss die einzig richtige Lösung: «I’m running free.» Und am Ende bleibt, was John Lee schon immer wusste: «It’s all the Blues.» The Numbers of the beast: 1965, 189,6370, 3. christian-hug.ch

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